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Mach’s gut altes Haus | Kein spektakuläres Haus, aber authentisch.

Kein spektakuläres Haus, aber authentisch. (Foto: privat)

Mach’s gut altes Haus

Zeitgeschehen
10.11.2022, 10:07 Uhr
Von: Dorit Bieber, Verein Altenburger Bauernhöfe e. V.
Ein typisches kleines Dorf im Altenburger Land: im runden Ortskern des Sackgassendorfs reihen sich regelmäßig wie an einer Kette die Kirche, der Pfarrhof, Fachwerkhäuser, dazwischen Wiesen und Gärten.

Es ist ein Bild, das immer mehr aus den Augen in die Erinnerung wandert. Und vielen Menschen fällt es nicht mal auf. Sie vermissen auch nichts, wenn wieder ein Ortsbild prägendes Fachwerkhaus verschwindet. Und das Ortsbild prägen sie nämlich, die unbequemen, schiefen Häuser aus regionalen Baustoffen. Verschwinden sie, werden die Dörfer verwechselbar. Sie könnten dann auch an der Nordsee oder im Alpenvorland stehen. Es sind nämlich nicht zuerst die großen „Leuchtturm“-Denkmale, die das Bewusstsein von Heimat prägen, die wie die Kirche jenes Dorfes mit dem Altenburger Denkmalpreis ausgezeichnet wurde. Identität wird vielmehr durch die Normalität der nichtspektakulären Bauten geprägt. Sie rangieren oftmals an der unteren Grenze des Denkmalschutzes. Sie sind die ersten, die der Bereinigung der Denkmalverzeichnisse zum Opfer fallen, wenn sie es jemals drauf geschafft haben sollten. Dabei sind diese Häuser von überragender Bedeutung für das Ortsbild. Wie konnten die Menschen so blind dafür werden? Es ist Zufall, aber just heute fotografierte ein amerikanischer Tourist das Haus der Autorin – kein spektakuläres Haus, aber authentisch. Was sieht er, was wir verlernt haben zu sehen?

Das Haus auf dem Foto ist ein solches Haus. Seit mehr als 300 Jahren steht es im Ortskern eines Dorfes gegenüber der Kirche. Das Fachwerk ist typisch für das 17. Jahrhundert; Umgebinde und Bohlenstube stammen aus dem 18. Jahrhundert. Das Dach ist dicht, der Dachstuhl und die Gebäudesubstanz sind in Ordnung. Dieses Haus könnte im Dorf wieder ein Kleinod sein. Und doch ist es nach dem Willen des Eigentümers dem Untergang geweiht, ganz ohne böse Absicht, aber gleichgültig und ohne Bewusstsein für den nicht wieder gut zu machenden Schaden. Wie ein Schrottauto wird das Haus ausgeschlachtet und in Einzelteilen verkauft. Bei jedem Oldtimer wäre der Wert klar – nicht so bei einem alten Haus. In der regelmäßigen Kette der Häuser des Dorfes wird eine Leerstelle entstehen. In ein paar Monaten soll sich an seiner Stelle ein schicker grüner Rasen ausdehnen. Niemanden scheint es zu stören. Wenige Kilometer weiter wird gerade ein imposantes ehemaliges Rittergut zum Kauf angeboten. Auf dem Grundstück steht  auch ein intakter Pferdestall, eines der längsten Fachwerk-Nebengebäude im weiten Umkreis. Das Highlight: die Abrissgenehmigung für den Stall ist bereits erteilt! Ist das in beiden Fällen wirklich erstrebenswert für das jeweilige Dorfbild? Es spielt auch keine Rolle, ob an der Stelle der alten Häuser statt eines gepflegten Rasens ein adrettes Haus aus dem Eigenheim-Katalog entstehen würde. Denn nebenan müht sich die Stadt Altenburg, Standorte für Eigenheime zu erschließen, um jungen Familien, die wir hier dringend brauchen, entsprechende Angebote unterbreiten zu können. Ihnen werden neu erschlossene Bauflächen offeriert, auf denen mit hohem Aufwand an Energie und Baumaterial neu gebaut wird. Keines dieser neuen Häuser ist für eine Lebensdauer von 300 und mehr Jahren konzipiert. Und hier stehen zwei intakte, historisch wertvolle Häuser. Darin stecken nicht nur die handwerklichen Kenntnisse unserer Vorfahren, sondern auch eine Menge verbauter regionaler Rohstoffe wie Holz, Stroh und Lehm. Die wandern dann wohl auf die Deponie, mit Glück als urige Dekostücke wer-weiß-wohin. Dabei muss sich doch endlich bis in den letzten Winkel und die letzte Amtsstube herumgesprochen haben, dass Bauen im Bestand ungleich nachhaltiger ist als jeder Neubau. Ein altes Haus ist gebaute Nachhaltigkeit! Aus den Erfahrungen des Vereins Altenburger Bauernhöfe mit der Bauernhofbörse ist zudem bekannt, dass gerade junge Familien solche alten Häuser in vergleichbarem Bauzustand mit Kusshand nehmen. Die Nachfrage wäre also da, sogar größer als das Angebot. Warum wird dann der Abriss dieser Häuser ohne Not genehmigt, zum Schaden für die Ortsbilder, die Bevölkerungsstruktur und die Natur? Warum fahren die Leute in authentische, einmalige Regionen in Urlaub und bemerken gleichzeitig Schönheit und Bedeutung der hiesigen Bausubstanz und deren Verlust noch nicht einmal? Das kann doch nicht wahr sein! Wir Mitglieder des Vereins Altenburger Bauernhöfe wollen uns nicht an Häuser festkleben. Aber es müssen endlich die Sensibilität und der Kampfesmut in den Bau- und Denkmalschutzbehörden wachsen, genauso wie das Bewusstsein der Bevölkerung für historische Bausubstanz. Die Verluste daran haben das aushaltbare Maß überschritten. Wir haben zu oft von gleichgültigen Nachbarn gehört „kann de wagrubbe, kann de zuschitte“. Es ist in den letzten Jahrzehnten zu oft geschehen, dass wertvolle Gebäude zum Abriss oder zur Spekulation gekauft und damit dem Verlust preisgegeben worden sind. Damit muss endlich Schluss sein! Wir fordern die regionalen Baubehörden auf: Kein weiterer genehmigter Abriss von realistisch erhaltbarer historischer Bausubstanz! Wir laden Eigentümer, Einwohner und Besucher ein: Entdecken Sie bewusst die Schönheit unserer gewachsenen Kulturlandschaft und ihrer Gebäude! Vielleicht hat sogar das kleine Schmuckstück neben der preisgekrönten Kirche doch noch eine Chance.

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